Die deutsche Leitkultur wird wieder bemüht. Eigenwillige(!) Einwanderer sollen sie aufnehmen, akzeptieren, annehmen, verinnerlichen, lesen, verstehen,...weil sie sich zu integrieren, einzufügen haben, schreibt die FAZ. Aber, so der Kommentar, leider ist die Debatte noch nicht so weit die Kultur zu benennen, die sie zukünftig leiten soll.
Ob dem Autor nicht klar ist, dass er sich mit seinem Resümee bereits mitten in der deutschen Kultur befindet, frag ich mich. Endlose Debatten ohne Ergebnisorientierung zu führen, nur um ihrer selbst willen, das ist deutsche Kultur in Reinform.
Korrekterweise kommt auch das Grundgesetz zur Sprache, welches, so der Autor, von jedermann gleich oder ähnlich verstanden wird.
Klar, weshalb alle Nase lang das BVerfG erklären muss, wie das Grundgesetz zu verstehen ist. Nicht nur den Gesetzgebern der PdL die das "System" überwinden wollen. Nein, einfach fast allen und immer wieder.
Es ist gar nichts klar und deutlich in Deutschland. Überall gibt es Interpretationsspielräume, Ausnahmen die angeblich die Regel bestätigen sollen und Auslegungsunterschiede. Deutschland ist das ultimative "Ja, aber-Land".
Wenn irgend jemand nach einem Beispiel auf der Suche wär, dass einem bewiese, warum eine Leitkultur nicht praktikabel ist - er würde hier in Deutschland so richtig fündig.
Die Bürger dieses Landes, inklusive der Politiker, die gern von den Menschen da draußen schwafeln wenn sie Bürger meinen, diskutieren vermutlich noch bis zum Ende des Jahrhunderts und darüber hinaus über die deutsche Leitkultur, ohne auch nur einen Schritt weiter zu kommen.
Wir Deutsche nennen so ein intellektuelles Geschwätz Tiefgang. Wir, wie der Autor des FAZ-Kommentars so naiv offenherzig preisgibt, sind in unserer Selbstüberschätzung zwar unfähig uns unsere Uneinigkeit über das was uns verbindet einzugestehen, aber, nichtsdestotrotz verlangen wir das, was wir nicht hinbekommen, von anderen.
Und wenn sie scheitern - um so besser.
Dafür müssen wir die Legende von der Existenz einer deutschen Leitkultur am Leben erhalten.
Mir würde es ja schon genügen wenn meine Landsleute in einer bedeutenden Mehrheit das Grundgesetz achteten oder vielleicht sogar wertschätzten.
Aber wenn Politiker es vormachen, wie man sich über die Grundpfeiler unserer Demokratie die eben keine Volksherrschaft sein soll, hinwegsetzt, in dem sie auf die Gewaltenteilung pfeifen und die Exekutive zur alles beherrschenden Gewalt ausformen, sehnt sich der eine oder andere Bürger nach einer Führungsperson.
Dabei blicken nicht wenige sehnsuchtsvoll nach Moskau wo ein Diktator herrscht - durch einen deutschen Bundeskanzler als lupenreiner Demokrat geadelt.
Und was das Staatsfernsehen dazu an "politischer Bildung" liefert, spricht Bände.
Von einer gemeinsamen Kultur mit leitendem Charakter wäre man aber auch ohne diese Querelen dann immer noch weit entfernt.
Und schon bin ich bei einem zweiten Merkmal deutscher Kultur:
Dem der überzogenen Ansprüche.
Anderen Ländern reicht es aus, dass alle Bewohner die Gesetze achten und die Verfassung.
Eine Kultur ist da außen vor, weil es regionale Unterschiede gibt, die gar nicht nivelliert werden sollen, weil sie nicht nivelliert werden können.
Man verfügt über Zivilisation. Das reicht und steht nebenbei über der Kultur, unter die auch Marterpfähle und die Herstellung von Schrumpfköpfen fallen.
Oder der Märtyrertod als Zivilisten mordender Terrorist. Dem Terroristen wird nicht der Besitz von Kultur abgesprochen sondern von Zivilisiertheit. Er ist einfach nicht in der Zivilisation angekommen.
Oder aus ihr herausgefallen.
Man könnte auch sagen: Die deutsche Endlosdebatte über eine gemeinsame und leitende Kultur wird nicht enden, weil sie den zum Scheitern verurteilten Versuch unternimmt, sich über den Zivilisationsbegriff hinwegzusetzen und die Zivilisation als der Kultur unterlegen ansieht.
Wenn ein große Menge an Flüchtlingen aus Gebieten nach Deutschland kommt, in denen Stammeskultur und Clanstrukturen die Gesellschaft bestimmen, und nicht das was im Westen unter Zivilisation verstanden wird, nämlich Recht und Gesetz, werden sie sich mit der Annahme einer Leitkultur schwerer tun, als mit anderem Recht und Gesetz.
Erst recht wenn ihnen Deutsche erzählen wie sehr sie ihr Land, das was sie unter deutscher Kultur verstehen und ihre "teilkapitalistische" Verfasstheit verachten.
Mit anderem Recht und anderen Gesetzen werden und müssen sie rechnen. Und sie erwarten wohl auch, dass man dies von ihnen verlangt. Nicht aber das Ablegen ihrer Kultur und die Annahme einer anderen. Das braucht länger als das Handeln nach anderen Gesetzen.
Die Integrationsaufforderung muss umsetzbar sein und darf keinem Idealismus folgen, der einer deutschen Debattenobsession frönt. Diese Aufforderung muss sich an der deutschen Zivilisation orientieren. An ihren Gesetzen und an ihren Werten die sich aus dem Grundgesetz ergeben. Damit sind zu allererst die Menschenrechte und die sich aus ihnen ergebenden Normen des Zusammenlebens gemeint.
Mit Kultur hat das alles erstmal wenig zu tun. Ihre Kultur werden die nach Deutschland Kommenden um zu bleiben, mit der hiesigen vermischen. Austauschen sicher nicht. Das hätte Deutschland während des noch andauernden Wiedervereinigungsprozesses bereits lernen können.
Erling Plaethe