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Sonntag, 27. September 2015

Was die Bürokratie stärkt

Der von mir hoch geschätzte Ulf Poschardt von der "Welt" hat einen Artikel dieser Zeitung von Thomas Schmid so euphorisch retweetet, dass ich ihn mir durchlesen musste. 
Ich stimme ihm zu, wenn er von der Aushöhlung der Demokratie durch die Bürokratie schreibt.
Aber was die Machtverlagerung (von den Legislativen) hin zu den Exekutiven angeht, ergibt sich für mich folgendes Bild: 
Sie wird m.E. erst ermöglicht durch die Vorstellung, dass es sich bei der modernen Demokratie "um - wie auch immer repräsentativ vermittelte - Volksherrschaft" handelt. Wird die dem Begriff der Demokratie originäre "Volksherrschaft" bemüht, ist, wohlwollend betrachtet, von mehr direkter Demokratie und Mitbestimmung die Rede. Andere Interpretationen von "Volksherrschaft" gehen von sozialistischen Staatsmodellen aus. 

Die Mitbestimmung der Bürger an politischen Entscheidungen greift jedoch schon ohne Formen direkter Demokratie als öffentliche Meinung weitaus stärker in diese Entscheidungsprozesse ein, als es für eine funktionierende Aufgabenteilung von Exekutive und Legislative zweckmäßig wäre. Sie ist es auch, die sich der Bürokratie bedient und ihr Wachstum beschleunigt. Das trifft auch auf die betriebliche Mitbestimmung zu.
Mit jeder Forderung an den Staat doch bitte endlich diese und jene Gerechtigkeitslücke zu schließen und schärfere Sozial- und Umweltstandards einzuführen, werden der Bürokratie mehr Aufgaben übertragen und mehr Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Bürger gestattet. Was dann erst einmal implementiert wurde, wird nicht von der Exekutive vehement verteidigt, sondern von gesellschaftlichen Gruppen die die öffentliche Meinung maßgeblich prägen, wie politische Aktivisten, Umweltbewegungen und NGO. Der Widerstand gegen TTIP und CETA ist ein Beispiel. Weitere wären die grotesk hohen Umweltverträglichkeitsprüfungen bevor in Deutschland ein Kilometer Autobahn gebaut werden kann.

Diesem Druck muss anscheinend auch die Bundesregierung Rechnung tragen. Denn sie regiert offenbar nach dem vermuteten aktuellen Trend der öffentlichen Meinung und kombiniert dies mit vorherrschenden Sachzwängen. Beides, die öffentliche Meinung und die Sachzwänge, lassen sich jedoch nicht immer gut kombinieren.

Bei der Energiewende hat dies funktioniert. Die Regierung konnte einer Verfassungsklage der Opposition und der Bundesländer ausweichen, die sich gegen die Laufzeitverlängerung einiger Atomkraftwerke richtete und mit der eine Brennelementesteuer gerechtfertigt werden sollte. 
Der Reaktorunfall im 9000 Kilometer entfernten Fukushima gab den willkommenen Anlass, die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke auszusetzen. Und später mit der Energiewende zu begraben.
Wer damals durchschaute, dass es sich um einen politischen Sachzwang handelte, war involviert und wäre an dem Druck der öffentlichen Meinung nicht vorbeigekommen. Der war leicht aufzubauen, in dem Ängste geschürt wurden, die je irrationaler sie waren um so besser verfingen. So war eine sonderbare Einigkeit bei der Abstimmung im Bundestag und unter den Wählern hergestellt.

In einer Demokratie mit mehr Transparenz und Mitbestimmung wäre nur der Druck der öffentlichen Meinung noch erhöht worden, was aber am Ergebnis nichts geändert hätte.
Das im Artikel völlig zu recht angesprochene Problem der Herrschaft der Bürokratie ist solchen Entscheidungsfindungen aber nachgeordnet. Diese Herrschaft kam zum Zug, als es darum ging mit dieser Energiewende Subventionsgelder für den Aufbau eines neuen Wirtschaftszweiges locker zu machen. Unter Ausnutzung der öffentlichen Meinung.

Auf die Flüchtlingsproblematik in Europa bezogen, zeigt sich ein ganz ähnliches Muster. In der Öffentlichkeit wurde schon seit langem Druck aufgebaut Europa und Deutschland zu einem anderen Umgang mit den in Lampedusa ankommenden Flüchtlingen zu bewegen. Italien war nicht mehr bereit die Flüchtlinge allein aufzunehmen. Die vielen Ertrunkenen im Mittelmeer trugen das Ihrige dazu bei. Hinzu kam, dass Italien mit diesem Flüchtlingsansturm schon seit Jahren allein gelassen wurde und zunehmend dazu überging, die Flüchtlinge einfach durchzureichen. 
Auch Griechenland, das kaum europäische Standards zur Flüchtlingsaufnahme umsetzt, ließ sie weiter nach Norden ziehen. Somit verlagerte sich der Flüchtlingsstau von Afrika und der Türkei immer weiter nach Mitteleuropa. Angekommen in Ungarn wurde er für Österreich und Deutschland akut. 

Wieder gab es eine Kombination aus Sachzwang und öffentlichem Druck. Der wurde diesmal auch von Einwanderungsgegnern aufgebaut denen sich die Bundeskanzlerin keinesfalls beugen wollte. Ihr ging es nach all dem Ignorieren nun nicht den letzten günstigen Zeitpunkt einer Handlung zu verpassen, die für sie früher oder später sowieso notwendig geworden wäre. Natürlich gab es auch politisches Kapital rauszuschlagen, wie bei der Energiewende.

Die Herrschaft der Bürokratie hat in diesem Beispiel eine schwere Niederlage erlitten, weil sie sich ihrer eigenen Ohnmacht gewahr wurde. Das war bei der Aufgabenstellung allerdings auch nicht anders zu erwarten gewesen. Nur ein unverbesserlicher Staatsgläubiger konnte annehmen, dass eine Exekutive in dieser Situation nicht überfordert wäre. Denn wäre sie es nicht, hätte sie bereits jetzt schon eine Größe angenommen, die sich ein freiheitlich denkender Bürger nur im Alptraum vorstellt. 
Das leidenschaftliche Engagement vieler Bürger bei der Hilfe für die Flüchtlinge zeigt, wie entbehrlich der Staat sein kann. Hätten sich alle darauf verlassen, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer Bürokratie es schafft -  es hätte uns bereits jetzt geschafft.

Der Herrschaft der Bürokratie wirkt auch eine Stärkung der Gewaltenteilung entgegen und die Begrenzung zentraler Macht. Das gilt für die EU wie für den Bund und wie für die Länder. 
Auch wenn der Bürger Gelegenheit bekäme die EU in ihrer jetzigen Form abzulehnen, täte er das auch in Bezug auf den Bund? Gibt es eine Mehrheit in Deutschland für den Ausbau des Föderalismus?

Erling Plaethe

1 Kommentar:

  1. Guter Punkt, lieber Erling! Und es tut so werh mitanzusehen, wie vernarrt, abhängig, ja hörig der Michel seiner Bürokratie ist.

    Gruß Petz

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