Norbert Lammert muss von allen guten Geistern verlassen sein wenn er, wie die "Welt" berichtet, sagt:
"Oder mit anderen Worten: Ich bin heilfroh, dass wir in Deutschland den Bundespräsidenten in einer eigens zu diesem Zweck zusammengerufenen Bundesversammlung wählen und nicht in einer Direktwahl."
Oder, was wahrscheinlicher ist, er sagt einfach was er denkt.
Dass er sich bestätigt fühlt in seiner Zurückhaltung gegenüber einer angeblichen Überlegenheit plebiszitärer Wahlverfahren über repräsentativen Wahlverfahren ist deshalb ein Schlag ins Gesicht des Souveräns, weil die Direktwahl des österreichischen Bundespräsidenten mit einem Referendum, bspw. über Stuttgart 21, oder anderen plebiszitären Abstimmungen so gut wie nichts zu tun hat. Und er offenbar einfach nicht den Souverän über die Wahl des Bundespräsidenten entscheiden lassen will.
Wer daraus ableitet, dass wir nur deshalb keine Verfassung sondern ein Grundgesetz haben, liegt dann wohl so falsch nicht.
Für viele sicher noch ein Grund mehr der CDU den Rücken zu kehren.
Ich bin kein Freund von Volksabstimmungen die von Polit-Aktivisten geführt werden, denen nichts so fremd ist, wie politische Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Davon kann aber bei der Wahl des österreichischen Bundespräsidenten überhaupt nicht die Rede sein. Der Souverän kennt nicht nur die Themen der Wahl, sondern kann ihnen auch Kandidaten zuordnen die für ihre Themen stehen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Würde diese Wahl über den Umweg von Wahlmännern geführt werden, gäbe es kaum einen Unterschied.
Dass Herr Lammert dennoch froh über die Existenz der deutschen Bundesversammlung sein kann, hat nichts damit zu tun, ob der Bundespräsident repräsentativ oder direkt gewählt wird.
Viel mehr hat es damit zu tun, dass die Bundesversammlung nicht die (partei-)politischen Verhältnisse im repräsentativen Bundestag allein widerspiegelt, sondern zusätzlich noch die in den Landesparlamenten.
In Zeiten politischer Umbruchstimmung werden massive Wählerwanderungen in der Bundesversammlung nur stark zeitverzögert wieder gespiegelt, weil sie sich in ihrer Zusammensetzung viel träger verändert als ein Landesparlament oder der Bundestag für sich betrachtet.
Herr Lammert ist also einfach nur froh Zeit zu gewinnen bis die seit letztem Jahr durch die AfD ausgelösten politischen Veränderungen irgendwann mal in der Bundesversammlung angekommen sind. Das dauert knapp fünf Jahre. Oder hat sich auch erledigt, wenn die AfD sich doch noch zerlegen sollte.
Das Bundespräsidentenamt in Deutschland ist durch sich immer wiederholende unwürdige Mauscheleien derart beschädigt und instrumentalisiert worden, dass es sich die GroKo meint leisten zu können den derzeitigen amtsmüden Bundespräsidenten zu überreden, noch eine oder wenigstens eine halbe Amtszeit ran zuhängen.
Auch an diesem Zustand sollte sich Herr Lammert erfreuen, denn er ist fester Bestandteil der deutschen Bundespräsidentenwahl und aus Sicht der GroKo nicht gerade "hilfreich" für den Wahlkampf zum nächsten Deutschen Bundestag.
Mal abgesehen davon, dass der Bundespräsident in Deutschland viel weniger Macht als der in Österreich besitzt und trotzdem vom aktuellen Wählervotum abgeschottet wird:
Wenn sich der Chef der deutschen Legislative so sehr vor dem Votum seines Auftraggebers fürchtet, stimmt was nicht im Verhältnis zwischen Dienstherr und Dienstleistenden.
Genau deshalb haben wir es mit der politischen Krise zu tun, die Herrn Lammert zu Aussagen bewegt, die sie verschärfen wird.
Erling Plaethe