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Sonntag, 31. Januar 2016

26.Jahrestag der Besetzung der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg

Der Fachbereich Geschichte, Zeitgeschichte und Politik der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bringt auch für 2016 eine Auswahl historischer Jahrestage sowie alljährlich wiederkehrender Gedenk-, Aktions- und Thementage in einem Infobrief heraus.
Interessant woran der WD so alles denkt - und woran nicht. 
2016 ist das heilige Jahr der Barmherzigkeit (2015/2016) und das internationale Jahr der Hülsenfrüchte.
Im Jahr 2015 hatte sich die Besetzung der Stasi-Zentrale zum 25. Mal gejährt. Man sucht dieses Jubiläum im Kalender der WD vergeblich, egal in welchem Jahr.

Die Besetzungen von Stasi-Dienststellen in der gesamten DDR waren für das wiedervereinigte Deutschland prägend, weil mit ihnen die Aufarbeitung einer Diktatur möglich wurde, wie es bis weltweit wohl noch nie gelungen war. Die DDR brach zusammen und mit ihr auch die absolute Macht der einstigen Eliten. Dadurch bot sich eine Chance zur einer breiteren Aufarbeitung als nach 1945. Das Neue Forum nutzte sie und bewahrte damit den sozialen Frieden den Paternalisten gefährdet sahen, würde jedem Bürger seine Stasi-Akte zugänglich gemacht werden.

Keine Aufarbeitung ohne Akten. Es ging zuerst einmal um deren Erhalt. Die Vernichtung der Akten zu stoppen war das einzige Ziel der Besetzung. Für das Wirken der Staatssicherheit innerhalb der DDR ist dies weitgehend erreicht worden.
Es ist der Verdienst der vielen Bürger die am 15. Januar 1990 den Gebäudekomplex stürmten, dass jeder der unter dem DDR-Unrecht gelitten hatte und verfolgt wurde, einen ihm unbekannten und wesentlichen Teil seiner Biographie kennenlernen konnte und immer noch kennenlernen kann. 

Das war und ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Mahnwachen und ein Hungerstreik von Mitgliedern des Bürgerkomitees waren nötig um gegen den Widerstand von Vertretern der Bundesregierung und des DDR-Innenministers Peter-Michael Diestel die Sperrfrist für Archivgut nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Die Diskussionen um eine Schließung der Akten für die Bürger kommt  dennoch regelmäßig bei einem Wechsel an der Spitze der Stasi-Unterlagenbehörde auf. Noch vor 2019 wird dies erneut der Fall sein.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, war damals bei dem Sturm auf die Stasi-Zentrale dabei ("Ich bin gestürmt"). Und beim 26. Jubiläum, das mit einer Kurzfilm-Wanderung begangen wurde, auch.

Es war eisekalt und die ersten Stationen der Wanderung befanden sich draußen. Ich muss sagen, mich hat es beeindruckt, einen Behördenleiter zu erleben, der bei diesen Temperaturen solch eine (Open-Air-)Veranstaltung sehr professionell durchzieht.



Es begann mit kurzen Amateurfilmen sowie einer Gegenüberstellung des Tagesschau-Berichts und dem der Aktuellen Kamera (DDR-Nachrichtensendung) vom 15. Januar 1990. Bei letzterem Bericht ging es nur um Vandalismus.
Roland Jahn sagte, die Erstürmung und das Stoppen der Aktenvernichtung waren Teil der Revolution.
In den Amateurfilmen waren Räume aus dem Haus 18 zu sehen, welches damals als Versorgungstrakt diente. Irgendwie wurde der Zug der Demonstranten zunächst in dieses Gebäude gelenkt. Man sah  in den Filmen "Konsumgüter" in Form von Konserven und Flaschen die im DDR-Handel nicht vorrätig waren und hörte dazu die Kommentare der Demonstranten. Volkspolizisten standen herum und bedienten sich, wie auch manche Demonstranten. So als hätten man sie zur Plünderung eingeladen um sie vom Vorhaben der Aktensicherung abzuhalten. Aber das ist Spekulation.

Nach diesen Filmen gingen ca. 400 Wanderer weiter zum Haus 1, dessen Einnahme durch den Umweg über den Versorgungstrakt nicht verhindert werden konnte. Peter Wensierski, damals Journalist beim Spiegel und Zeitzeuge, stellte eine Zusammenfassung des umfangreichen Filmmaterials vor. Sie hätten viel gefilmt, sagte er und machte deutlich, wie sehr ihn das Eintauchen in die Tiefen des Staates DDR faszinierte.
Unter anderem gab es ein Interview mit dem Liquidator, Generalmajor Heinz Engelhard, zu sehen. In dem bedauerte dieser keine "geordnete Übergabe" ermöglichen zu können. 
Übersetzt hieß das:
Das Bürgerkomitee verhinderte das Beladen von LKW mit Akten, ihre Verbrennung und, wenn die Schredder versagten, das Zerschnipseln per Hand.
An dieser Stelle wurde auch Selbstkritik geübt. Denn das Bürgerkomitee ließ sich darauf ein, zwischen der Stasi im Inland und der im Ausland zu unterscheiden. Schlimmer noch: Es unterstützte und wohnte der Aktenvernichtung der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) bei. Die HVA konnte so bis zum 30. Juni 1990, geschützt vom Bürgerkomitee, weiterarbeiten. In politischer Naivität fühlte  es sich verbunden mit dem Auslandsgeheimdienst. Anstatt die elektronischen Datenträger zu entwenden wurde ihre Vernichtung gefilmt.
Wem auch immer das Bürgerkomitee auf dem Gelände begegnete, niemand war von der Stasi. 
Letztlich war es ein Kampf David gegen Goliat.  
Die dennoch erfolgreiche Arbeit der Bürgerkomitees lässt sich auch an dem Umstand ablesen, dass
viele der Stasispitzel wie Wolfgang Schnur (Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs und Anwalt Oppositioneller) und Ibrahim Böhme (Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR) sich sicher fühlten, weil ihnen ihre Führungsoffiziere versicherten und wohl auch davon ausgingen, die Akten der inoffiziellen Mitarbeiter wären oder würden vernichtet.

Beendet wurde die Wanderung im Haus 22, der ehemaligen Kantine. Dort kamen der Schauspieler Stephan Grossmann und der Regisseur Friedemann Fromm der ARD-Fernsehserie "Weißensee" zu Wort. Herr Fromm sagte, er habe bewusst Schauspieler mit persönlicher Erfahrung ausgewählt und wollte mit der Serie herausarbeiten, wie man sich in der DDR gerade machen und leben konnte - in einer falschen Umgebung. Bei der Arbeit an der Serie stellte er zum Beispiel fest, wie sich alle Schauspieler aus der DDR veränderten, als sie das originale Büro von Erich Mielke für einen Dreh betraten. Wie sie plötzlich still wurden.
Und wie jeder eine andere Art von Tapete für DDR-typisch hielt.



So weit war alles recht aufschlussreich und nachvollziehbar für mich. Doch hat es der Regisseur dann doch noch geschafft, mich nachhaltig zu verstören.
Nämlich als er sagte, der Kapitalismus hätte die DDR überrollt. Er fand wohl während der Dreharbeiten viel von dem, was er als normales Leben jenseits der Diktatur suchte. Aber er reduzierte die soziale Marktwirtschaft auf einen marxistischen Kampfbegriff. 

Da war er wieder - der Eindruck, selbst mit noch so viel Aufklärung und Fakten über die DDR lässt sich die politische Naivität gegenüber dem totalitär/kollektivistischen Charakter einer Diktatur nicht vollständig aus dem Weg räumen.
Dazu passt auch ein kurzes Gespräch das ich mit einer Dame kurz vor der Gesprächsrunde in der "Kantine" führte. Sie erzählte mir, dass sich in der Nähe der Stasi-Zentrale früher ein Reisebüro befand und sie sich vergeblich wieder und wieder bemühte, eine Reise zu bekommen.
Ich war etwas erstaunt, denn in meiner Erinnerung gab es in der DDR gar keine Reisebüros in denen man so ohne weiteres eine Reise kaufen konnte. Meine Entgegnung, ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, in ein Reisebüro zu gehen und immer einfach losgefahren um dann irgendetwas zu finden, stieß bei ihr auf heftige Ablehnung. Wie das mit drei Kindern hätte funktionieren sollen, fragte sie mich und verschwand.
Tja.
Ich hatte übrigens in der DDR gar keine Tapete an der Wand.

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