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Donnerstag, 14. Mai 2015

Grabenzuschütter

Würde es nicht auch die Gegenwart beeinflussen, wären dem Autor die wiederkehrenden Schönfärbereien des DDR-Alltags egal. Doch der Einfluss linksradikaler Ansichten auf die politische Mitte in Deutschland ist nicht unwesentlich.
Die Diktatur des Proletariats in seiner ostdeutschen Ausformung des Arbeiter- und Bauernstaates regt in unschöner Regelmäßigkeit Autoren an, in ihrem Charakter als Gefälligkeitsdiktatur, wohlwollende Züge meinen zu entdecken. Es ist die Suche nach dem, was "gut" war. Nie ist alles schlecht, also muss irgendwo was sein, dass dem Idealismus positive Nahrung gab. Das mag in unserer nach Konsens und sozialer Gerechtigkeit gierenden Gesellschaft gut ankommen - für die, die dem Regime offen ablehnend gegenübertraten, ist es ein Schlag ins Gesicht.

Nun gut, derer gab es nicht so viele und diese Autoren verbinden mit ihren Analysen dessen, was sie nie kennengelernt haben, ein höheres Ziel. Sie wollen Gräben zuschütten. Gräben zwischen Menschen die nicht in einem Unrechtsstaat groß geworden sein wollen und denen, die mit jedem Jahrestag erfreut feststellen, dass der Teil ihrer Lebenszeit in einer Diktatur immer kleiner wird.
Dann gibt es natürlich auch noch die aus der alten Bundesrepublik, für die die DDR immer nur ein Vasallenstaat der Sowjetunion war. Aber die buddeln schon lange keine Gräben mehr aus.

Der Grabenzuschütter liebstes Projekt ist das Thema Rechtsstaat vs. Unrechtsstaat. Vielleicht schafft die deutsche Gesellschaft nur die Aufarbeitung einer Diktatur und die einer weiteren übersteigen die schon arg strapazierten Fähigkeiten zur Auseinandersetzung mit sozialistischen Experimenten bei gleichzeitigem Erhalt moralischer Lufthoheit.
Oder es ist nur der Wunsch, eines fernen Tages, wenn alle umgedacht haben, doch noch in einem sozialistischen Schlaraffenland aufzuwachen.

Nichts von dem sollte jedoch auf den Autor des Artikels zutreffen, der Anlass zu diesem Kommentar bot.
Ernst-Wolfgang Böckenförde war von 1983 bis 1996 Richter am Bundesverfassungsgericht und mehr als nur ein Fachmann, wenn es um den Rechtsstaat geht.
Umso mehr erstaunen seine Begründungen, warum die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat über das Ziel hinausschießt, wie er auf FAZ.NET schreibt.

Zunächst einmal ist der Begriff Unrechtssaat ein politisches Schlagwort und kein juristischer Begriff.
Er soll die Abwesenheit eines Rechtsstaats beschreiben und ... er wurde prägend für die nationalsozialistische Diktatur. Ob in einer Diktatur, dann und wann, wenig oder keine Willkür ausgeübt wird, ist der Ansatzpunkt von Herrn Böckenförde:
Auch die DDR hat nicht darauf verzichtet, in vielen Bereichen in der Weise des Rechts zu handeln und für ihre Bürger und Bürgerinnen Gerechtigkeit anzustreben. Entsprechend haben die ostdeutschen Bürger und Bürgerinnen in vielen Bereichen ein Leben in rechtlich-ethischer Normalität geführt, in Achtung und Befolgung bestehenden Rechts und getragen von einem darauf bezogenen Ethos. Dies gehört ebenso zur Wirklichkeit der DDR wie das vielfache Unrecht, die vielfache Ungerechtigkeit.
Das Recht in der DDR war ausdrücklich wesensfremd zum bürgerlichen Recht. Es galt sozialistisches Recht, welches der Diktatur zu dienen hatte.
Wenn der Autor also differenzieren möchte, dann sollte er m.E. zuerst einmal auf die sehr unterschiedlichen Rechtssysteme abstellen, die nicht "das Recht" kennen, sonder zwei Varianten.

Gerechtigkeit war in der DDR-Rechtsprechung kaum eine Kategorie. Es ging um die Erziehung und Formung sozialistischer Persönlichkeiten mit den Mitteln die keine rechtsstaatliche Begrenzung kannten. Wer straffällig wurde, verging sich am Sozialismus als ein die Gesellschaft leitendes Ideal.
Wenn jemand etwas beschädigte, stahl oder missbräuchlich benutzte, das außerhalb des geringfügig vorhandenen Privateigentum stand, machte er sich schuldig am sozialistischen Eigentum. An der gesamten Gesellschaft. Selbst eine einfache Schlägerei war ein Angriff auf das sozialistische Zusammenleben. Was auch immer vorgeworfen wurde, die sozialistische Gesellschaft war mit im Boot. Sie war nicht nur kollektiv Opfer sondern auch kollektiv verantwortlich zu handeln. Denn der Straffällige stellte sich nicht gegen eine andere Person, sondern gegen die gesamte Gesellschaft.
Eine individuelle Schuld gab es in dem Sinne gar nicht. 
Solch eine Rechtsprechung lässt sich nicht mit bürgerlichem Recht vergleichen. Wenn jede Straftat als Angriff auf die idealisierte Gesellschaft beurteilt und verurteilt wird, gibt es keine Gerechtigkeit. So wie es auch keine Verteidigung gab die diese Bezeichnung verdient hätte.
Hier von Normalität aus einer rechtsstaatlichen Perspektive heraus zu sprechen, gehört mitnichten zur Wirklichkeit der DDR.
Stattdessen wird eine Wirklichkeit erschaffen, die es nie gab. Und Herr Böckenförde liefert am Ende seines Artikels auch noch die Begründung dafür:
Die globale Kennzeichnung der DDR als Unrechtsstaat ist nicht nur falsch, sie kränkt auch die Bürger und Bürgerinnen der ehemaligen DDR. Seit der Wiedervereinigung vor fünfundzwanzig Jahren wächst zusammen, was zusammengehört. Zum Zusammenwachsen gehört die sorgfältige, differenzierte und unideologische Wahrnehmung der anderen, ihrer Vergangenheit, ihrer Prägung. Die globale Abqualifizierung der DDR als Unrechtsstaat hilft dabei nicht weiter.
Was kränkt die Bürger, die der Diktatur überdrüssig waren, mehr?
Ihnen zu bestätigen, dass sie sich gegen einen Unrechtsstaat erhoben oder dass sie gar nicht in einem solchen lebten? 
Letzteres macht ihre Erhebung zu einem unrechtmäßigen Aufruhr der von gesetzlosem Handeln begleitet war. Deren Konsequenzen sie allein zu tragen haben und nicht die, die sie knechteten. 
Oder erschossen.

Die unideologische Wahrnehmung führt zu einer Beurteilung der DDR, die dessen Ideologie gar nicht mehr in Augenschein nimmt. Ja, sie regelrecht unter den Teppich kehrt, oder besser: sie zuschüttet. 

Gegen dieses Zuschütten von Gräben sollte gegengebuddelt werden. Sonst wird aus der DDR eines Tages in der Rückschau genau das Arbeiter- und Bauernparadies über welches man sich im bitteren Sarkasmus einst lustig zu machen pflegte. Auch unter den Günstlingen.
Und wenn dann kaum mehr einer den Unterschied zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat erkennt, selbst Diktaturen mehr oder weniger rechtsstaatlich sind, wer wundert sich dann über die Zunahme des Extremismus?

Genau, die Grabenzuschütter.

Erling Plaethe

10 Kommentare:

  1. Hallo lieber Erling,
    Sie haben es sehr genau auf den Punkt gebracht und damit meine ungeteilte Zustimmung.

    Ich mach es mal ein wenig polemisch:
    Böckenförde bekam den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa.
    Wenn es einen Preis für wissenschaftliche Dichtung gibt, dann sollte der ihm auch noch verliehen werden. Das ist jedenfalls mein Vorschlag.

    Herzlich, Paul (Der bin ich bei Zettel.)

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  2. Hallo Paul, wegen der heftigen Differenzenzen die wir beide bei Zettel hatten und meiner gezogenen Konsequenzen, muss ich Ihnen sagen, dass Sie hier nicht willkommen sind. Ich würde jeden weiteren Kommentar von Ihnen löschen.

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  3. nachdenken_schmerzt_nicht15. Mai 2015 um 12:04

    „Und wenn dann kaum mehr einer den Unterschied zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat erkennt, selbst Diktaturen mehr oder weniger rechtsstaatlich sind, wer wundert sich dann über die Zunahme des Extremismus?“

    Lieber Erling,

    dieser Satz hat so viel Bedeutung, dass man sie nur vollständig erkennen kann, wenn man sie am eigenen Leib erfahren hat. Und zwar in dem Sinne, dass man „Ansätzen eigenen extremistischen Denkens“ nicht mehr imstande war zu erkennen und dann plötzlich mit der Nase darauf gestoßen wurde.

    Ich glaube, da orientiere ich mich an meinen persönlichen Erfahrungen, dass dies damit zusammen hängt, dass salonfähiger Extremismus im öffentlichen Raum, dass eigene Einnehmen extremistischer Gegenpositionen vertretbarer erscheinen läßt. Bis hin zu dem Zustand, wo man eigenen Extremismus eben nicht mehr erkennt. Druck erzeugt auch hier leider eher Gegendruck als das er dazu anregt sich im Gleichgewicht einzufinden.


    Wenn ich mir diese, leicht anmaßende, aber sehr ehrlich gemeinte Bemerkung erlauben darf:

    Ich kann nicht beurteilen, was Ihren Rückzug als Autor in Zettels Raum letztendlich bedingte. Welche Enttäuschungen oder Verletzungen möglicherweise involviert waren.

    An meiner eigenen Person habe ich aber gelernt, wie wichtig der Spiegel ist, den sie für alle dort immer wieder ausgepackt haben. Kritisch zu sein, ist in erster Linie wichtig gegenüber sich selbst. Nicht gegenüber anderen. Das gilt für Sozen, wie Konservative, wie Liberale, Unpolitische oder auch für solche, die sich lediglich für das ein oder andere halten.
    Ihre Beiträge, wie auch Ihre Opposition zu manch allzu schnell gefundenem Konsens in Zettels Raum / ZkZ waren essentiell. Waren wichtig. Boten Hilfestellung bei Selbstreflektion und Lernprozessen.

    Damit will ich weder sagen, dass Sie immer Recht hatten / haben, noch dass ich Ihnen immer zustimme. Auch nicht, dass ich Sie dort persönlich vermisse. Auch wenn das die Wahrheit ist, wäre das nur ein persönliches Motiv.

    Ich will damit sagen, dass die Mitte und Vernunft einen wichtigen Fürsprecher an wichtiger Stelle verloren haben und der Extremismus an ebensolcher Stelle etwas Terrain gewonnen hat. Es wird jetzt für andere ein bisschen schwerer werden, diejenigen Lernprozesse zu durchlaufen, welche ich selbst durchlaufen habe (dank Ihrer Hilfe), jetzt wo Sie nicht mehr so präsent dort sind.

    Das Christus ein großer Philosoph war in meinen Augen, zeigt sich in vielen Äusserungen. Im Moment kommt mir seine Aussage in den Sinn:
    „Nicht die gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“

    Dies ist überhaupt nicht in wertendem Sinne gemeint, bevor das in diesem interpretiert wird, sondern in dem Sinne, dass die Wiederholung des Gleichen keinen Wert hat, im Gegensatz zu der Gegenüberstellung des Gegensätzlichen.

    Herzlich


    nachdenken_schmerzt_nicht

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  4. Ja, lieber Nachdenken_schmerzt_nicht,

    sie sprechen mir aus der Seele.

    Und dieser Artikel fehlt in Zettels Raum.

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    1. Das ist richtig. Mittlerweile kann ich aber Erling Plaethes Entscheidung absolut nachvollziehen.

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  5. Lieber Erling Plaethe,
    vielen Dank für diesen sehr guten Kommentar zu diesem sehr wenig nachvollziehbaren Vorgang.
    Es bräuchte mehr solcher Wortmeldungen.

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  6. Prof Böckenförde ist einer der klugsten Köpfe Deutschlands. Nicht umsonst war er 13 Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht. Wenn er also (zu Recht) sagt, daß die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat die Menschen, die dort aufgewachsen sind, kränkt, dann ist dem eigentlich nichts hinzuzufügen.

    Wenn Prof. Böckenförde jetzt aus allen Ecken beschossen wird, dann sollten sich all die Ewiggestrigen, die ihn kritisieren, daran erinnern: wenn wir auf einen Menschen mit dem Finger zeigen, zeigen gleichzeitig drei Finger auf uns zurück.

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    1. nachdenken_schmerzt_nicht17. Mai 2015 um 12:53

      Lieber Eberhard, wenn Sie es schaffen mir schlüssig zu erklären warum es die Menschen als Individuum kränkt, wenn man die verbrecherische Natur der Regierung des Landes in dem sie gelebt haben benennt, kann ich Ihrer Kritik vielleicht folgen.

      Die Selbstverständlichkeit mit der oftmals Kritik am Staat mit der Schmähung von Individuen gleich gesetzt wird, läßt mich nur den Kopf schütteln. Braucht man Klugheit, um das gleich setzen zu können? Dann habe ich diese in der Tat nicht.

      Zwei weitere kleine Anmerkungen am Rande:
      - Was den Hinweis auf kluge Köpfe betrifft, bevorzuge ich sebst zu denken, auch wenn ich selbst keine Klugheit haben sollte.und die Klugheit der anderen dadurch selbstverständlich auch nicht in Abrede stellen will.

      - Das Bemühen der Ewiggestrigen ist nicht unbedingt ein Qualitätsargument, zumindest nicht in dem Bemühen die Ewigzeitgeistgläubigen heilig zu sprechen. Zeitgeist war es auch einmal Hexen zu verbrennen. Heute ist Zeitgeist natürlich weiter. Er baut zum Beispiel Windmühlen und nennt es Fortschritt oder glaubt an Hokuspokus und nennt es "kritsch aufgeklärt".

      Herzlich

      nachdenken_schmerzt_nicht

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  7. Ich stelle die Reputation von Professor Böckenförde keinesfalls in Frage. Doch auch Professoren sind nicht frei von Irrtümern. Mag sein, dass sich DDR-Bürger mit der Bezeichnung Unrechtsstaat für die letzte Diktatur in Deutschland gekränkt fühlen. ich fühle mich gekränkt wenn dies relativiert wird, weil ich gegen den Unrechtsstaat Widerstand geleistet habe um einige meiner unveräußerlichen Menschenrechte versuchte durchzusetzen. Es gab nicht "die DDR-Bürger" weshalb mit derDarstellung von Herrn Böckenförde nur die Kränkung der mit der der anderen ersetzt wird. Seine Aussagen heben keine Kränkung auf, sie wird nur verschoben. Ob nun diese auf einer soliden Grundlage steht bezweifle ich. Und als ehemaliger und anerkannter politischer Häftling gibt es für mich dazu etwas zu sagen. Weit mehr übrigens als ich es in dem kurzen Kommentar getan habe.

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  8. "Es gab nicht 'die DDR-Bürger' weshalb mit derDarstellung von Herrn Böckenförde nur die Kränkung der [einen] mit der der anderen ersetzt wird."

    Genau das ist der Punkt, den Böckenförde, so gut er es auch meint, übersieht.

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