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Sonntag, 24. April 2016

Keine Liebe ohne Preis. Über die Sterbehilfe anhand eines bewegenden Artikels aus der NZZ.

Seraina Kobler fragt in ihrem Artikel "Ihr Wille geschehe" für die NZZ: Wem gehört das eigene Leben?
Eine Frage die leicht zu beantworten ist: einem selbst natürlich. Wem auch sonst?
Doch was die Autorin beschreibt ist ein Drama mit Potential zu großem Theater.
Die Frage wem das eigene Leben gehört ist nämlich nur leicht zu beantworten, wenn es um das Leben der Mutter geht, die sich an die Sterbehilfe Exit wendet. Und ihren Tod, besser den Zeitpunkt, selbst bestimmt. 
Ob das Leben ihrer jüngsten Tochter Anna noch ihr selbst gehört, ist schon viel schwerer zu beantworten.

Anna ist nach Japan ausgewandert, vor zwölf Jahren ging sie nach Kyoto und heiratete. Ihre Mutter Dora macht ihr bei bei einem Besuch Annas im Frühjahr Vorwürfe deswegen und im darauffolgenden Herbst meldet Dora bei Exit ihren Sterbewunsch an. Ein paar Monate danach teilt sie der Familie kurzfristig den von ihr gewählten Sterbetermin mit. Auch Anna will kommen, aber ihre Mutter weist sie ab: "Musst du nicht, du weinst sowieso nur, das kann ich nicht brauchen."
Auch ihr Bruder kommt nicht. Nur die ältere Schwester (fast 50) und Freunde schauen Dora bei Kaffee und Kuchen beim Sterben zu.


Alte Menschen brauchen häufig Pflege und sei es seelische. Man wird einsam im Alter. Erst mag man es noch schätzen wenn es ruhiger wird und man mehr Zeit für sich hat. Ist der größte Teil des Lebens gelebt, braucht man nicht mehr einen so großen Freundeskreis wie man ihn als junger Mensch schätzt.
Aber die Sehnsucht nach den Kindern hält an und verstärkt sich um so älter man wird.

Die Pflege der Eltern, ganz besonders der Mutter wird häufig von der jüngsten Tochter wahrgenommen. Sie ist es, die im hohen Alter der Mutter am belastungsfähigsten, weil am jüngsten ist.
Ob gewollt oder nicht, die Bindung zwischen der Mutter und der jüngsten oder einzigen Tochter ist sehr eng. Den älteren Kindern wird ihr Weggang aus dem Elternhaus meist leichter gemacht als dem jüngsten, der jüngsten Tochter zumal.

Als ich den Artikel las, fiel mir die zeitliche Nähe zwischen den Vorwürfen von Dora gegenüber Anna wegen ihres Wegzuges nach Japan und der voraussehbaren Gebrechlichkeit der Mutter auf.
So als würde Dora das Leben ihrer Tochter in Japan als eine Verweigerung der Unterstützung ihrer absehbaren Pflegebedürftigkeit ansehen. Als würde sie einen unerfüllbaren Wunsch durch einen erfüllbaren ersetzen wollen. Den unerfüllten Wunsch von ihrer jüngsten Tochter gepflegt zu werden und sie weit häufiger sehen zu können, gegen den erfüllbaren des selbstbestimmten Todes und damit des Nichtangewiesenseins auf die Hilfe und Nähe ihrer jüngsten Tochter.
Zu einem Zeitpunkt an dem sie noch keiner Pflege bedarf. So als wäre die Pflegebedürftigkeit unzumutbar und keine Option.

Denn sie hätte sich auch für ein Weiterleben entscheiden können. Dafür, mit der Zerstörung ihres   Lebens nicht auch das ihrer Tochter Anna in Mitleidenschaft zu ziehen. Denn wie anders soll die Tochter den Freitod ihrer Mutter auffassen, wenn nicht als Reaktion auf ihren Wegzug ans andere Ende der Welt?
Noch dazu wenn sie dies ihr "immer wieder" zum Vorwurf gemacht hatte.

Ich habe an anderer Stelle schon viel diskutiert über den Freitod und die Auswirkungen auf die Hinterbliebenen. Auf die Schuldgefühle mit denen diese dann bis an ihr Ende leben müssen, so sie denn den in den Tod gegangenen von ganzem Herzen liebten.
Liebe bindet, sie nimmt Freiheit. Wer liebt, lässt sich darauf ein. Für den Wegfall eines Teils der persönlichen Freiheit und die Übernahme von Verantwortung für die Nächsten, wird einem gegeben was ein Single nie erfahren wird.
Das Glück einer eigenen Familie.
Natürlich ist das nur vollkommen wenn man seine Kinder und Enkel auch sieht, aber ihr Wohl liegt einem eigentlich ein Leben lang am Herzen.

Wenn man sein Leben gibt, dann doch nur um das der Kinder oder Enkel zu retten oder zu schützen!
Niemals um sie zu bestrafen oder ihnen eine Lektion zu erteilen, ja, um sie für den Rest ihres Lebens unglücklich zu machen.

Genau hier liegt meine Kritik an der Sterbehilfe. Es ist keine an der Möglichkeit als solcher. Manche haben gar keine Angehörigen mehr.
Aber ich kann nicht verstehen, dass wenn man sich einmal für die Liebe entschieden hat und für den Freiheitsverlust der ihr inhärent ist, ihn dann nicht hinnimmt und akzeptiert bis zum Ende.
Die Einsicht, dass die persönliche Freiheit ihre Grenze findet, wenn das Wohlergehen der eigenen Kinder und Enkel gefährdet ist.
Mag sein, dass irgendwann ein jeder selbst entscheidet, wann er sterben möchte und sich die Hinterbliebenen keine Vorwürfe mehr machen. Ich hoffe diese Gesellschaft nicht mehr zu erleben denn eine Liebe ohne Preis ist keine.

Erling Plaethe

2 Kommentare:

  1. Ich bin erleichtert, dass es noch andere Menschen gibt die mein Erleben und meine Situation zu verstehen scheinen. Fur welche die Wahl mit EXIT aus dem Leben zu scheiden genauso unverstaendlich erscheint wie mir. Haben wir doch eine Verantwortung gegenuber denen die wir lieben und mit welchen wir unser Leben zu teilen uns entschieden haben.
    Anne aus Japan

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  2. Danke für diese Worte, liebe Anna.

    Herzliche Grüße
    Erling Plaethe

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