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Donnerstag, 5. Mai 2016

TTIP, freier Handel oder Regulierungskooperation?

Der geschätzte Kollege R.A. aus dem Autorenblog Zettels Raum hat in einer Diskussion zu seinem sehr empfehlenswerten Artikel "Transparenz und Hysterie" in Zettels kleinem Zimmer geschrieben:
Und da ist es unsäglich, daß ein Land wie Deutschland nicht die Kompetenzen hat, mit so einer Sache vernünftig umzugehen.
Was mich zu der Frage führt, warum das so ist. Die Feststellung einer mangelnden Kompetenz in der Bevölkerung hinsichtlich des freien Handels im Speziellen und volkswirtschaftlichen Fragen im Allgemeinen ist das Eine. Schließlich ist das Thema trocken genug um wenig öffentliches Interesse zu wecken. 
Das Andere wie sich viele Bürger betroffen fühlen von den Freihandelsverhandlungen und nicht wenige sogar besorgt. Die Gründe dafür zu suchen, könnte zu einer Strategie der Verteidigung des freien Handels führen. Wenn dies politisch gewünscht wäre.
Aufgrund der öffentlichen Diskussionen kann man nicht selten den Eindruck gewinnen, unsere Regierung setzt sich für den Freihandel ein. Ganz besonders unter Berücksichtigung diverser Argumentationen der TTIP-Gegner.

Die Generierung geschürter, irrationaler Ängste durch die Chlorhühnchen-Kampagne (Grüne) oder durch Souveränitätsverlust (AfD), um nur mal zwei Beispiele zu nennen, müssen ja auf fruchtbaren Boden fallen, um trotz des Mangels an ökonomischem Sachverstand so viel Ablehnung zu entfalten. 

Dieser fruchtbare Boden ist antikapitalistisch geprägt. Antimarktwirtschaftlich wäre dasselbe - ist aber ungebräuchlich. 
Im Fall der Linken die die Marktwirtschaft als Raubtierkapitalismus bekämpfen, ist es Amerika welches als genuiner Protagonist die heile Landwirtschaftswelt Europas mit Produkten aus einer Art Frankensteinlabor überziehen und die EU von sich abhängig machen will. Von rechts wird die nationale Karte gespielt. Deutschland hat zu wenig Einfluss auf die Verhandlungen und die EU ist dem "mächtigen" Amerika unterlegen. Woraus folgt, dass ein Verhandlungsergebnis für Deutschland und Europa  negative Auswirkungen hat.
Für Links wie Rechts ist somit klar: Bei einem Freihandelsabkommen diktieren die Amerikaner wie der transatlantische Handel künftig läuft - nach welchen Standards und wie künftig reguliert wird.
Denn darum drehen sich alle Sorgen: um die Zukunft der Daseinsvorsorge durch den Staat (vor diesem Euphemismus wurde das Prinzip Eingriffsverwaltung genannt und dann um die Leistungsverwaltung erweitert, ohne jedoch die Einschränkung der Handlungsfreiheit der Bürger aufzuheben) und staatliche Regulierung.

In Deutschland werden Regulierungen des Marktes grundsätzlich mit dem Schutz der Verbraucher begründet. Und das ist m.E. paradox genug um es abzulehnen: 
Einerseits wird ständig die Bevormundung durch den Staat beklagt, andererseits lassen sich große Teile der Bevölkerung von eben diesen Bevormundern einreden, ihr Dasein als Mündel diene ihrem eigenen Schutz.
Mit dem Ergebnis, dass die Bevormundung gleichermaßen verteidigt und beklagt wird.

Verbraucherschutz in der Nahrungswirtschaft bedeutet heute: bedenkenlos sind nur Bioprodukte. 
Der größte Lebensmittelskandal in Deutschland an den ich mich erinnere, mit 50 Toten und 4321 Erkrankungen, war einer mit ökologisch angebauten Bockshornkleesamen, verursacht durch einen deutschen Biogartenbaubetrieb.
Keine der unzähligen Regulierungen für Umweltschutz und Verbrauchersicherheit, der ökologischen Standards konnte die vielen Toten und Verletzten (teilweise mit Folgeschäden) verhindern. 
Im Gegenteil, dieser sogenannte Verbraucherschutz macht bis heute aus "Bio" etwas per se Gesundes. 
Derart Esoterisch aufgeladen, klammern sich verängstigte Bürger an deutsche Standards und Regulierungen als ihren staatlich garantierten Schutz ihrer Gesundheit und wählen gemäß staatlicher Empfehlung. So sie denn eine Wahl haben.

Deutschlands Verbraucherschutz ist ähnlich panikgesteuert wie der Datenschutz, immer ist Angst das Mittel der Wahl um Belehrungen, Ermahnungen und neue Vorschriften unters Volk zu bringen, die ihrerseits zu mehr Unsicherheit führen. Diese überzogenen Standards und Regulierungen behindern dann den Handel zum Nutzen von etablierten Anbietern und mindern die eigenverantwortliche Wahl mündiger Konsumenten. 
Lebensmittel ohne Konservierungsstoffe gelten als "gesund" weil die Zusatzstoffe angeblich krank machen und solche Produkte "industriell" hergestellt werden. Das erhöhte Risiko einer Salmonellen-Infektionen und die krebserzeugende Wirkung von Aflatoxinen als Ausscheidungsprodukte von Schimmelpilzen ist kein Thema für die staatlichen, daseinsvorsorgenden Verbraucherschützer.
Hier liegt ein ganz wesentlicher Unterschied im wirtschaftspolitischen Denken beiderseits des Atlantiks. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip mit all seinem Paternalismus, in Amerika das Nachsorgeprinzip welches die Eigenverantwortung und vor allem die Handlungsfreiheit beim Bürger belässt. 

Würde TTIP so manche Standards und Regulierungen unterlaufen - es wäre ein Segen. Doch von einem Unterlaufen unserer geliebten Standards kann ebenso wenig die Rede sein wie vom ständig heraufbeschworenen sozialen Kahlschlag.
Selbst der BDI will das Freihandelsabkommen durch eine Regulierungskooperation erweitern. Des Weiteren wird von den USA verlangt, die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu akzeptieren. Am europäischen Arbeitsrecht soll aber nicht gerüttelt werden.

Das BMWi wird sehr deutlich was es unter TTIP versteht:
Debatten zur Liberalisierung des Handels werden sich in Zukunft im Wesentlichen um Normen, Standards und Regulierungen drehen, nicht mehr um Zölle. Um die Handelsfragen der Zukunft mitzugestalten und europäische Interessen zu wahren, muss die EU aktiv an der Erarbeitung globaler Standards mitwirken. Dafür bietet TTIP gute Chancen.
Es soll nicht um eine Liberalisierung gehen auch nicht um Zölle, was nichts anderes heißt als dass der Abbau von Zöllen nicht das vordergründige Ziel der Verhandlungen sind. Es geht Gabriel nicht um die Globalisierung des Handels oder um den freien Handel - im Gegenteil. Es geht um die globale Regulierung des Handels um seine Einhegung, seine Begrenzung.
Es geht gegen den freien Handel.
TTIP besteht aus beidem: Abschaffung der Zölle und angeglichene Regulierungen. Rosinenpickerei lässt nur Zweifel an der Ernsthaftigkeit zur Einigung aufkommen.

Die Kritik an TTIP ist deshalb so groß und trifft deshalb auf so starke Resonanz, weil deren Aktivisten von links schon weit gekommen sind mit ihrer Kampagne gegen den Freihandel. Sie arbeiten nicht gegen die Regierung sondern mit ihr. Gabriel wurde von ihnen schon jetzt aufs linke Maß zurechtgestutzt und darf sich nur noch wundern, warum er immer noch angegriffen wird.

Es sieht nicht gut aus für TTIP. Die Wahrscheinlichkeit dass es scheitert, ist ungleich höher als dass es zustande kommt. Verantwortlich ist die deutsche Regierung, die nicht für den Freihandel steht, sondern für Regulierung, Standardsetzung und Bürokratisierung.

Erling Plaethe

2 Kommentare:

  1. "Verantwortlich ist die deutsche Regierung, die nicht für den Freihandel steht, sondern für Regulierung, Standardsetzung und Bürokratisierung."

    Ja, ganz bestimmt. Aber vielleicht nicht nur. In den Köpfen von Politikern regiert immer noch der Merkantilismus: Export ist gut, Import ist schlecht. In den Zeiten, wo Gold das Geld war, hieß das: Goldvorräte aufhäufen ist gut. Gold an sich befriedigt allerdings nur wenige Bedürfnisse... Und in den heutigen zeiten heißt es: Forderungen aufbauen gegenüber Bürgern. Institutionen und Unternehmen anderer Staaten. Auch die kann man nicht essen... Hier kommt aber noch weit mehr hinzu: Wenn sie denn etwas wert sind.

    Doch "Freihandelsabkommen" zwischen Staaten stehen meist unter dem Vorzeichen, dass jede Seite möglichst viel Exportmöglichkeiten für sich herausschlagen will. Und die Importe der anderen Seite möglichst doch beschränkt sehen möchte. Wären Politiker Anhänger der "österreichischen" Theorie der VWL, wären solche Verhandlungen schnell zu Ende, weil jede *aus Eigeninteresse* alle Importe durch die andere Seite zuließe. Nach dem Motto: Ist doch super, wenn andere sich den Buckel krumm machen, um uns mit Waren zu versorgen, für die sie maximal unser Papiergeld bekommen...

    Ernstzunehmende Kritik müsste da ansetzen, aber das wäre dann wirklich ein Traum.

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  2. Vielen Dank lieber Werwohlf, ein sehr wichtiger Punkt den Du da ansprichst.

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