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Montag, 2. November 2015

(Leit-) Kultstatus Datenschutz

Politische Diskussionen in Deutschland werden um so leidenschaftlicher geführt, je mehr sie sich im Kreis drehen. Taucht in der politischen Praxis ein Widerspruch auf, stürzen sich alle drauf um zu besprechen und zu debattieren wie ein aufgetretenes Problem gelöst werden kann ohne den das Problem verursachenden Widerspruch aufzulösen. 

Zum Beispiel als Folge der Erkenntnis, dass sich eine der Strafverfolgung abträgliche Rechtsprechung als Schutz für die Täter erweist und nicht ihrer Ermittlung .
Ein Kindesmörder konnte kürzlich in Berlin durch ein Video einer Überwachungskamera vor einem privaten Geschäft, die auch den öffentlichen Bereich vor dem Laden abdeckte, überführt werden. Offenbar war die Ermittlung des Täters derart schnell vonstattengegangen, dass schon reflexhaft ein Verstoß gegen das geheiligte Bollwerk der hierzulande ganz normalen Paranoia vorm Überwachungsstaat vermutet werden musste.
War die schnelle Ermittlung des Täters überhaupt mit dem Datenschutz vereinbar? Natürlich nicht, schließlich ist eine seiner Nebenwirkungen ja gerade die erschwerte Ermittlung von Tätern. Wenn die Strafverfolgungsbehörden zügig und erfolgreich arbeiten, wittern Leute die ihre Partei nennen wie Schwerverbrecher, aber nicht nur sie, eine Verschiebung des Kräftegleichgewichts zwischen der Chance von Kriminellen ungestraft davon zu kommen und der geschnappt zu werden. Allerdings werden sie nur aufmerksam, wenn die Verschiebung in eine Richtung stattfindet. 

Jeglichem Datenschutz ist es inhärent der Strafverfolgung im Weg zu stehen - und nicht nur ihr. Es liegt grundsätzlich auch im Interesse der Exekutive so viel Daten als möglich über die Bürger zusammenzutragen um präventiv tätig sein zu können. Diesem Verlangen setzten Gesetze zum Datenschutz in klar definierten Bereichen bis 1983 Grenzen. Danach wurde das Wirken des Datenschutzes maßgeblich von denen bestimmt, die in jenem Jahr eine von viel politischer Ideologie geprägte Kampagne gegen die Volkszählung führten. 

Was die Aktivisten von damals heute noch stolz als einen Sieg verbuchen, war die vom BVerfG zum Grundrecht erklärte informative Selbstbestimmung. Mit diesem Urteil wurde die Grundlage für eine Entwicklung geschaffen, die seitdem nicht nur den Datenschutz gegen die mangelhafte Strafverfolgung ausspielt, sondern auch zunehmend die Meinungsfreiheit. 
Wenig verwunderlich stehen bei der zweiten Disziplin die Aktivisten aus dem gleichen politischen Spektrum im Fokus der Debatte, wie bei der ersten. 
Obwohl die Analyse totalitärer Strategien längst das große Staunen beenden könnte, welches den Amerikanern und den anderen angelsächsisch geprägten Nationen gilt, denen der Datenschutz viel weniger wichtig ist als uns Deutschen, wird er weiterhin gegen eine angeblich drohende Gefahr totaler Überwachung durch den Staat ins Feld geführt. 
Und wenn linke wie rechte antiamerikanische Verschwörungstheoretiker genau diesen Überwachungsstaat schon in den USA und GB umgesetzt sehen, nicken unsere Dabattenkönige mit sorgenvollem Blick und versichern den Anfängen wehren zu wollen. 

Die deutschen Datenschutzbehörden werden bei der Exekutierung des "Rechts auf Vergessenwerden" nicht nur aufgefordert, sondern geradezu genötigt die Kommunikation zu regulieren. Google ist manchen bereits die Verwirklichung der düsteren Vision George Orwells "1984". Oder sie vergleichen Internetfirmen dieser Größe mit Staaten und wollen sie in Bezug auf die Grundrechte gleichsetzen wie der Vizepräsident des BVerfG Ferdinand Kirchhof und der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. 

Unsere Moralisten tragen das Ihrige dazu bei, wenn die weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit mit dem Recht des Bürgers auf informelle Selbstbestimmung begründet werden kann. 
Ein Grundrecht dessen Gewährung dann nicht durch Zurückhaltung des Staates durchgesetzt wird, sondern ganz im Gegenteil durch Regulierung und Bestimmung dessen was gesagt und geschrieben werden darf und was nicht. Soweit ist es noch nicht, doch schon jetzt ist die treibende Kraft nicht ein in den Startlöchern stehender Überwachungsstaat sondern der Druck der öffentlichen Meinung. 
Der wird nicht selten mit Themen aufgebaut, die eben nicht realem Erleben oder Erzählungen Betroffener entspringen. Um die informelle Selbstbestimmung der Informanten in Afghanistan und anderen Krisenherden kümmern sich Snowden und Assange nicht. Die Praktiken der Staatssicherheit dagegen sind längst verblasst im Schatten ihrer Enthüllungen. So wird die NSA öffentlich wesentlich gefährlicher eingeschätzt als der Cyberwar den Russlands Tschekisten gegen Deutschland und andere Staaten führen.

Es kann im Informationszeitalter kein verwirklichtes Recht auf informelle Selbstbestimmung geben. Denn würde es wirklich durchgesetzt, man schüfe die totalitären Verhältnisse vor denen die Bürger bewahrt werden sollen. Ähnlich verhält es sich mit einem Recht auf Arbeit oder auf Wohnraum. 
Jeder hinterlässt Spuren, sie alle verwischen zu können wenn man es denn wollte, käme der Fähigkeit unsichtbar zu werden gleich. 

Selbstbestimmung ist ein kommunikativer Prozess der von der Information lebt und unter einem verallgemeinerten Schutz mehr schadet als nützt. 
Denn solch ein Schutz bedarf irgendwann der Hilfe des Staates. 
Ihm überhaupt die Fähigkeit dazu zuzutrauen ist ebenso unrealistisch wie in ihm einen Überwachungsstaat zu sehen. Denn hätte er die Fähigkeit, wäre er bereits genau der Überwachungsstaat vor dem er die Bürger bewahren soll. 
So bleibt es bei einer idealisierten Wunschvorstellung deren Verwirklichung einer gefährlichen sich selbst erfüllenden Prophezeiung gleicht. 

Als Nachtrag dies:
Ein Zitat aus dem Wikipedia-Eintrag über Hans Peter Bull, erster Datenschutzbeauftragter der Bundesregierung:

"Heute nimmt er eine im Vergleich zu amtierenden Datenschützern eher moderate Haltung ein, was nicht zuletzt auf seine Tätigkeit als Landesinnenminister zurückzuführen sein mag. Datenschutz sieht er nicht als Wert an sich an, sondern lediglich als Gegengewicht und Korrekturmittel gegen eine missbräuchliche Datenverarbeitung. Den extensiven Datenschutz, wie ihn beispielsweise Simitis, Bäumler und Weichert vertreten, lehnt er als Bevormundung und Entmündigung des Bürgers ab. Stattdessen betont er die Stellung des Einzelnen als gemeinschaftsbezogenes Wesen und weist auf das Erfordernis eines sozialadäquaten Informationsflusses hin."

Erling Plaethe


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