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Sonntag, 17. April 2016

Böhmermann und darüber hinaus

Böhmermann hatte mit der Sendung seines "Gedichtes" zwei populistische (weil von der öffentlichen Meinung getragene) Stoßrichtungen:

Die eine war der von der Kanzlerin im Alleingang eingefädelte Türkeivertrag. Er ist unter den Böhmi-Fans verhasst weil sie den Flüchtlingsstrom gar nicht begrenzen wollen und weil sie niemals mit Erdogan Deals abschließen würden dafür mit Rohani immer. 
Nicht weil die Kanzlerin ihn der EU überhalf, um die (einzig effektive) Schließung der Balkanroute durch Eigeninitiative Österreichs und anderer Länder zu verhindern. Das ist bekanntlich misslungen. Also beides, auch der Türkeivertrag.
Denn auch für den braucht Merkel und die EU die Mithilfe Griechenlands, die sie nicht bekommen. Ohne Griechenland will sie aber keine EU-Politik durchgeführt sehen, als überzeugte EU-Europäerin.

Ich denke Böhmermann wollte sie bloßstellen. Was auch gelungen wäre, hätte sie, wie erwartet, die Ermächtigung zur Verfolgung des §103 nach §104a nicht erteilt.
Sie hätte dann denjenigen geschützt, der den Präsidenten Erdogan zutiefst diffamierte. Und zwar vorsätzlich und in genauer Kenntnis der Folgen. Böhmermann wollte die Kanzlerin zu seiner Marionette machen - sie vorführen. In der Hoffnung, sie gibt der öffentlichen Mehrheitsmeinung nach, so wie sie es (fast) immer tat. Die Kanzlerin Merkel hat sich jedoch verändert, sie ist zur Einzelkämpferin geworden. Sie schreckt nicht mehr vor Alleingängen zurück - so auch im Fall Böhmermann nicht. Ich will letzteres nicht werten, positiv schon gar nicht.

Die zweite Stoßrichtung liegt im Narzissmus Böhmermanns begründet und sucht Aufmerksamkeit um jeden Preis. 
Harald Schmidt hätte so was nicht gemacht, aber der war ja auch ein begnadeter Satiriker. Böhmermann ist nach eigener Aussage kein solcher, sondern macht Quatsch und wurscht ist ihm was für Folgen sein Handeln hat. Zudem wollte er wohl auch mal den Beweis antreten, dass der ÖR kein Staatsfernsehen ist. 
Ist er aber doch (übrigens der einzige Punkt in dem ich mit Erdogan einer Meinung bin) nur hat mal die Kontrolle versagt oder die Kanzlerin sieht einfach dem Ende ihrer Amtszeit entgegen. Da der Medienbetrieb ziemlich links tickt und die Umfragewerte der SPD in den Keller rauschen, kann man das Ganze ebenso als Tritt ansehen.

Was aber, wieder einmal, darüber hinaus deutlich wurde, ist die selektive Wahrnehmung mit der das Thema behandelt wurde. Steinmeier steht und stand für den Iran-Deal und Gabriel hat Rohani sogar einen Freund genannt. Also das Einschießen auf Erdogan hat wenig mit seinen Menschenrechtsverletzungen zu tun, sonst hätte die SPD sich genauso heldenhaft dem Ranwanzen an die Mullahs verweigert. 
Vielmehr mit der Flüchtlingspolitik und der Kanzlerin selbst.

Aber eine selektive Sichtweise ist eben populär weswegen sie prima funktioniert. 
Trotzdem sollte man sich fragen, warum Erdogan dran ist und nicht Putin, der das Netzwerk des Bundestags abgeschöpft und erst vor kurzem eine üble Schmutzkampagne gegen Deutschland fuhr (Fall Lisa). Kürzlich hat sich Moskau für eine wilde Verschwörungstheorie gegenüber der SZ entschuldigt (Panamapapers). 
Ich will hier gar nicht aufzählen mit wie viel Potentaten Deutschland schön Wetter macht.

Begonnen hatte die Verstimmung wegen Erdogans Angriffen auf die Pressefreiheit in der Türkei, dem Beginn der Beratungen über eine Türkei-EU-Kooperation und mit dem Besuch ("einvernehmlich mit dem AA") des deutschen Botschafters Erdmann bei einem Strafprozess gegen zwei türkische Journalisten. Deswegen und wegen des "extra3" Liedes wurde Erdmann von der türkischen Regierung einbestellt.
Das Türkei-Abkommen wurde in der SPD und außerhalb, besonders von der PdL ständig mit der (nicht vorhandenen) Pressefreiheit verknüpft. SPD-Politiker mussten sich immer wieder gegen Vorwürfe wehren, die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zu tolerieren. 

Ebenso selektiv ist die Sicht auf die angeblich in Deutschland bedrohte Meinungsfreiheit durch Erdogan. Wenn irgendein ausländischer Politiker unsere Meinungsfreiheit bedroht, ist es Putin mit seinem Propagandakrieg gegen Deutschland. Selbstverständlich ist er kein Ziel für die PdL und wohl nur für wenige in der SPD.
Aber Erdogan. Er und die Türkei ist einfach mal ein Nato-Verbündeter und auf lange Sicht wichtiger Teil einer jeden geostrategischen Überlegung. Auch zur Begrenzung des Flüchtlingsstroms. Selbst wenn sich in der Politik einer in dieser Frage die Hände schmutzig machen will - er erlebt erheblichen Widerstand.
Grundsätzlich ist die Meinungsfreiheit allerdings weder von Erdogan noch von Putin ernsthaft bedroht.

Die Kanzlerin bekommt Pfeffer von vielen Seiten, selbst in der Union wird an ihrem Stuhl gesägt. Bei der SPD allerdings scheint man mit einer geschwächten Kanzlerin den eigenen Abstieg stoppen zu wollen. 
Die Gelegenheit von einer Krise der Union zu profitieren, scheint die letzte Hoffnung der ehemaligen Volkspartei zu sein. 
Die Union dagegen kann nicht mehr mit ihr in einen weiteren Bundeswahlkampf ziehen, will sie ihren Abwärtstrend stoppen. Sie muss die Nachfolge klären oder ihr blüht, was sie nach dem Ende der Kohl-Ära erlebte. 
Das hätte dann für Deutschland extreme Konsequenzen - wortwörtlich.

Der Bundestagswahlkampf hat begonnen.

Erling Plaethe

3 Kommentare:

  1. Lieber Erling,

    ich weiß nicht, ob Böhmermann den großen Masterplan hatte, der Merkel mit eingeschlossen hat. Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, dass er von den Ereignissen selber überrollt wurde. Aus meiner Sicht war sein Ziel das ZDF, und er wollte testen, ob sein Beitrag gelöscht wird oder nicht. Alles andere gibt rückblickend zwar Sinn, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er das voraussehen konnte. Das kann höchstens sein Rechtsberater vom ZDF aufklären, indem er irgendwann mal das Geheimnis lüftet, ob er Böhmi vorher vom 103er in Kenntnis gesetzt hat.

    Böhmermann ist kein ausgewiesener Politsatiriker, sondern ein Spezialist für mediale Hypes und Provokationen. Auch das Varoufakis-Video war ja keine politische Provokation, es ging einfach darum, die Medien reinzulegen. Insofern glaube ich an deine zweite Stoßrichtung, aber nicht an die erste. Das hat ihn selber kalt erwischt.

    Gruß Petz

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  2. Lieber Petz,

    ich rede ja nicht von einem Masterplan, sondern davon das Türkeiabkommen zu torpedieren.
    Dass Böhmermann sein strafbares Handeln klar war, hat er in seiner Gedichtssendung ja auch deutlich genug gesagt. Und ihm war es wichtig festzustellen zu lassen, dass man in seiner Schmähkritik neben der Zoophilie und Pädophilie die er Erdogan zuschrieb, auch nicht "Präsident" sagen solle. Das darf man nicht machen, so Böhmermann und sein Sidekick darauf: Nicht Präsident sagen.
    Vielleicht wusste er nicht, dass ihm das nichts nützt und der Zusatz "Präsident" nach §103 gar nicht nötig ist zur Verfolgung.

    Viele Grüße
    Erling

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  3. Unser Sigmar Gabriel, ja der Freund von Rohani, ist gerade beim ägyptischen Präsidenten Sisi und erklärt: "Er ist ein beeindruckender Präsident". Vermutlich weil
    der sich so intensiv für die Meinungs-, Kunst-, und Pressefreiheit einsetzt.

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