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Samstag, 5. September 2015

Warum Orban nicht recht hat

Mir ist das auch schon in den Kopf gekommen, die Frage ob Victor Orban nicht vielleicht recht hat.

Aber was der ungarische Regierungschef hier so scheinbar einleuchtend nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung darlegt, ist ein Trick der alle Nase lang von Gysi über Wagenknecht bis zu Putin und den Verschwörungstheoretikern dieser Welt erfolgreich angewandt wird:
Ziehe aus einer halbwahren Prämisse eine logische Schlussfolgerung und schon steht dir eine verblüffend überzeugende und belegte These zur Verfügung. Propaganda at its best.

Es gibt in Europa seit 2010 ein Flüchtlingsproblem. Damals war es noch ein italienisches. Mit dem andauernden Bürgerkrieg in Syrien und den rasant steigenden Flüchtlingen in der Türkei wurde es auch ein griechisches. Ein maltesisches war es seit es ein italienisches war. Dann wurde es ein deutsches, spanisches und nun ein ungarisches.
11,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht, 4 Millionen außerhalb Syriens. Hinzu kommen Flüchtlinge aus dem Irak und Libyen. Allein geographische Gründe sorgen für eine Verlagerung der Folgen des Krieges im Irak und Syrien nach Europa. Europäische Länder waren deshalb proportional zur Entfernung vom Kriegsherd natürlich auch von den Flüchtlingsbewegungen betroffen.

Weshalb Victor Orban sein Problem, und das aller anderen mit hohen Flüchtlingszahlen zu kämpfenden EU-Länder, zu einem deutschen macht, liegt darin begründet, dass Deutschland seit August nicht mehr versucht Syrer in die Länder zu überstellen wo sie nach der Drittstaatenregelung ihre Anträge auf Asyl zu stellen hätten. Das scheint in der Tat ein sinnloses Unterfangen zu sein.
Deutschland macht Gebrauch vom Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 der Dublin-III-Verordnung.
Und ja, damit aus der Not eine Tugend. Das wird auch schon mal weniger wohlwollend interpretiert.
Im Umgang mit den Flüchtlingen werden nationale Eigenarten durchaus deutlich. 
Doch in dem Deutschland sich redlich bemüht die Flüchtlinge aufzunehmen die andere nicht (mehr) aufnehmen können oder wollen, entlastet es auch andere EU-Staaten.
Eigentlich wäre Orban zu Dankbarkeit verpflichtet, dass Deutschland im Fall von syrischen Flüchtlingen auf Überstellungen verzichtet. Stattdessen dreht er Deutschland daraus einen Strick und kaschiert sein eigenes politisches Versagen.

Deutschland wird nach seiner Lesart zum Magneten, weil es die Flüchtlinge nicht in Lager steckt und inhaftiert wie es die Dublin-III-Verordnung vorsieht, sondern ihnen die Möglichkeit gibt, ihren Antrag bei deutschen Behörden zu stellen. Die andere Vorgehensweise wäre weder rechtlich noch politisch durchsetzbar.

Man kann Deutschland vorwerfen einen Solidaritätsmechanismus bis 2013 abgelehnt zu haben, die Dublin Vereinbarungen mitgetragen und nachdem es selbst ein Flüchtlingsproblem bekam, vor den drastischen Maßnahmen zurückgeschreckt zu sein, die es für andere Länder als akzeptabel und durchführbar ansah.

Aber nicht, dass die Flüchtlinge nach Europa kommen, weil sie von Deutschland dazu eingeladen werden.
Solch eine Argumentation blendet den Krieg Assads gegen die syrische Zivilbevölkerung und das Morden des IS völlig aus. Und damit den Grund für den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika nach Europa.

Wer die Flüchtlinge in seinem Land nicht will und sich so verhält, dass sie auch nicht zurückgeschickt werden können und sie stigmatisiert, weiß und nimmt in Kauf, dass sie sich dann in den Ländern drängen, die vor ihm auf den Routen liegen. Oder im Mittelmeer ertrinken. So löste bislang jedes Land in der EU das Problem auf seine Weise und meistens, ob gewollt oder nicht, auf Kosten anderer.

Deutschland reagierte und reagiert nun auf den Umstand, dass Flüchtlinge zunehmend innerhalb Europas weitergereicht wurden.
Auch Orban ist so vorgegangen. Jetzt passt ihm die Reaktion aus Deutschland nicht, die ihrerseits natürlich auch eine von nationalen Interessen geprägt ist. Aber dennoch auch eine, die den Versuch einer Lösung für die Opfer des fürchterlichen Krieges des IS und von Assad unternimmt, die in Europa weitestgehend unerwünscht sind, obwohl sie nur der Kriegsgräuel entfliehen.

In Deutschland wird nicht nur viel Pathos verbreitet wie willkommen Flüchtlinge hier sind, es wird auch viel getan. Freiwillig, im Stillen und mit viel Einsatz. Trotz Hassdemonstrationen und brennenden Unterkünften nimmt Deutschland den inneren Konflikt an und trägt ihn aus. 
Auch wenn dabei die Notleidenden viel zu oft politisch instrumentalisiert werden - es gibt eine große Hilfsbereitschaft. Das ist mehr als nur anerkennenswert. Es ist großartig und zeigt, dass es nicht nur Gefühlsduselei in unserem Land gibt sondern echte Hilfsbereitschaft.

Wäre Orban an einer europäischen Lösung interessiert, die bislang noch nicht ihren Praxistest bestanden hat, würde er Deutschland nicht das Problem unterschieben, welches auch seins ist und das vieler anderer Länder in der EU. Herr Orban macht in unrühmlicher Tradition einen anderen Staat verantwortlich dafür, dass auch er - auf seine Weise - versagt.

Damit hat er nicht recht, sondern den Preis für die dämlichste Ausrede verdient. 
Seinen Kumpel Putin wird es freuen, wie er die Auswirkungen eines Religionskrieges im Nahen Osten, der den Westen im stärker herausfordert, nutzt, um noch mehr Zwietracht in der EU zu sehen als durch Griechenland ohnehin schon vorhanden ist.

Beide, Griechenland und Ungarn müssen aus Putins Sicht hervorragend funktionieren. Was das alles mit Putin zu tun hat? Eine ganze Menge. Denn er unterstützt das Assad-Regime welches für den Flüchtlingsstrom verantwortlich ist. Dieses Regime setzte Giftgas gegen die Zivilbevölkerung ein und verübt bis heute Kriegsverbrechen. Und hier schließt sich der Kreis: 
Orban kommt nicht auf den Gedanken Putin für seine Unterstützung des Assad-Regimes zum Verantwortlichen für die Flüchtlinge in seinem Land und in Europa zu machen.

Wird der Druck der Bürgerkriegsflüchtlinge in Nordafrika nicht abgebaut sondern erhöht, kann das den Nahen Osten noch instabiler machen als er jetzt schon ist. Man sollte nicht den Fehler machen anzunehmen, die Situation könne nicht viel schlimmer werden.

Erling Plaethe

4 Kommentare:

  1. Orban tut, wofür er gewählt wurde - er vertritt ungarische Interessen. Deutsche Naivität wird ausgenutzt - das ist nun tatsächlich unser Problem, kein ungarisches...

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    1. Ob es in ungarischem Interesse ist die Politik Putins zu exekutieren, wird sich zeigen - aber zumindest vertritt er wohl die Interessen derer, die ihn gewählt haben. Da gibt es auch von meiner Seite nichts zu kritisieren. Ungarn macht die Politik die es für richtig hält.
      Deutschland auf der anderen Seite ist m.E. in dieser Frage alles andere als naiv sondern handelt sehr rational. Deutschland ist sozusagen in Vorleistung gegangen damit die Blockade für eine realistische und anwendbare Asylpolitik in Europa aufgebrochen werden kann. Nicht die Suche nach Schuldigen steht jetzt im Fordergrund sondern die nach Lösungen. Dublin-III war und ist keine solche.

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  2. Lieber Herr Plaethe, Sie schreiben: "Eigentlich wäre Orban zu Dankbarkeit verpflichtet, dass Deutschland im Fall von syrischen Flüchtlingen auf Überstellungen verzichtet. Stattdessen dreht er Deutschland daraus einen Strick und kaschiert sein eigenes politisches Versagen."
    Dies ist ohne Zweifel ein zentraler Punkt in Ihrer Argumentation. Unklar bleibt für mich allerdings, worin dieses Versagen des Herrn Orban liegt und wie es insbesondere seinem Land schadet. Können Sie mir auf die Sprünge helfen?

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    1. Lieber Herr Rubekula, ich meine sein Versagen im Umgang mit den Flüchtlingen in Ungarn. Orban sagt er hielte sich an die Regeln, aber eine Transitzone für die Flüchtlinge einzurichten, wie am Budapester Ostbahnhof, läuft ihnen zuwider. Er müsste die Flüchtlinge überstellen, stattdessen behandelt er sie als Durchreisende. Er versagt, weil er nicht imstande ist ein Problembewusstsein zu entwickeln für das was in seinem Land unter seiner Verantwortung passiert.
      Inwiefern er seinem Land damit schadet oder nutzt ist nicht mein Thema.

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