...

...

Mittwoch, 1. April 2015

Kein 100%iger Schutz vor 100%ig flugtauglichem Piloten

Verschwörungstheorien geniessen außerordentliche Popularität. Das mögen einige für eine Folge des Niveaus unseres Demokratieabgaberundfunks halten, aber vielmehr noch als die Abwendung ist die Hinwendung zum ÖR einer Erklärung dienlich.
Bei Maybrit Illner beispielsweise erklärte Peter Ramsauer laut ZDF-Mediathek:
Wenn die französische Staatsanwaltschaft behaupte, der Co-Pilot habe die Maschine willentlich in die Katastrophe geführt, heiße das "noch lange nicht, dass es wirklich definitiv so ist".
Und "viele Staatsanwälte hätten schon viel in die Welt gesetzt". Es ging um die Mitteilung der französischen Staatsanwaltschaft über die Ergebnisse der Auswertung des Stimmenrekorders.
Nun hat die Staatsanwaltschaft "in die Welt gesetzt" was Experten, Profis die mit solchen Auswertungen ihr Geld verdienen, ihr in die Hand gaben.
Das weiß Herr Ramsauer, denke ich mal.

Dann "schloss sich der Luftfahrtjournalist Andreas Späth dieser Haltung an" und
betonte, es gab früher schon Fälle, in denen französische Staatsanwaltschaften möglichst Schaden von Airbus fern halten wollten. Es sei "voreilig" von Suizid des Co-Piloten zu sprechen.
Klar.
Also, die französische Staatsanwaltschaft setzt in die Welt, unser Copilot hat die Maschine willentlich in die Katastrophe geführt, weil sie Schaden von Airbus fern halten will.
So könnte man das verstehen. Soll man aber nicht, wird dann noch pflichtschuldig hinzugefügt. Nicht das jemand behauptet usw.

Der Klassiker. Gerücht in die Welt setzen und behaupten, dass man aber das Gemeinte nicht meint.

Aus den Spekulationen über eine französischen Verschwörung gegen einen Copiloten von dem bis vor kurzem die Lufthansa behauptete, nie etwas von psychischen Befunden gelesen zu haben, der
"100 Prozent flugtaugliche, ohne jegliche Einschränkungen ohne jegliche Auflagen" 
war, werden Abwehrhaltungen. Aus Zweifel Gewissheit. Als immer mehr Erkenntnisse öffentlich werden, führen diese zu dem Wunsch doch aufzuhören mit der Veröffentlichung dieser Informationen. Die sowieso nur schnell einen Schuldigen suchen. Und überhaupt, immer müsse es einen Schuldigen geben.
So als würde man in Deutschland zum Leiden vieler nicht tatsächlich viel zu oft versuchen, ohne einen solchen auszukommen. Die Opfer der Düsseldorfer Love-Parade 2010 kennen dies aus schmerzlicher Erfahrung.


Aber es gibt auch Transformationen in umgekehrter Richtung:
Aus Fakten werden Spekulationen. Die Fakten, welche über den Copiloten bekannt sind, über seine Depressionen in der Vergangenheit, darüber, dass er krankgeschrieben und damit untauglich ein Flugzeug zu fliegen war, dass er per Hand den kontrollierten Sinkflug selbst einstellte.
Sie und die ganze Auswertung des Stimmenrekorders wird in Frage gestellt.

Noch einmal wird jetzt der Stimmenrekorder ausgewertet, diesmal von einer deutsch-französischen Arbeitsgruppe. Verkehrsminister Dobrindt braucht ein Gesamtbild, bevor "wir über Konsequenzen nachdenken."
Herr Dobrindt hat also darüber nachgedacht, nachzudenken und kam zu dem Schluss es nicht zu tun.

Aber im Netz ist der Teufel los. Schon wird gewarnt vor wildem Aktionismus.
Als wenn es in Deutschland das jemals (bei einer Behörde!) gegeben hätte. Nicht mal die Energiewende könnte man als Aktionismus bezeichnen. Was nebenbei bemerkt auch noch nie eine völlig konfuse Umsetzung des Nachgedachten verhindert hatte.
Vielleicht sollte man es mal tatsächlich mit Aktionismus probieren. Ich schweife ab.

Der ganze Dunst aus Warnungen vor Aktionismus, der nicht stattfindet, und Vorverurteilung, die keiner erhebt, diskreditiert Erkenntnisse, die manchen schlicht nicht in den Kram passen.
Und da gibt es einige.
Abgesehen von denen die vom Selbstmordpiloten reden, so als hätte der Copilot allein im Flugzeug gesessen und seinen Selbstmord nicht mutmaßlich zum Attentat auf 149 Menschen inszeniert.

Die Realität verweigernden Abwehrreflexe finden sich auch bei der Lufthansa. Sie tut sich schwer und gibt erstmal zu, was sie bereits abgestritten hat. Dass laut Luftfahrtbundesamt ein SIC-Vermerk in den Unterlagen des Copiloten eingetragen ist, der auf eine schwerwiegende Krankheit hinweist und ein erhöhter Kontrollbedarf besteht. Die Lufthansa sagte noch am Sonntag laut der "Welt", ihr wäre nichts bekannt:
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das so nicht stimmt: Die Depression war der Lufthansa und Germanwings eben doch bekannt oder hätte zumindest bekannt sein müssen. Schließlich hatte Andreas L. seine Depression nicht nur gegenüber den Ärzten mitgeteilt, sondern auch gegenüber der Schule, wie die Lufthansa jetzt zugibt. Damit kann es sich nicht mehr auf die ärztliche Schweigepflicht berufen.
Die Lufthansa sagte zuvor, dass im Tauglichkeitszeugnis kein SIC-Vermerk zu finden sei. Na klar, weil er dort gar nicht aufgeführt wird, sondern in der Piloten-Lizenz die ebenfalls dem Unternehmen vorliegt.
Auf die Existenz einer E-mail angesprochen, in der der Copilot Germanwings über seine ausgeklungene Depression informiert hatte, dreht der Lufthansa Chef den Journalisten wortlos den Rücken zu und geht wie in diesem Video zu sehen ist.

Wer keine Spekulationen will, sollte informieren, für Informationen offen und zugänglich sein und diese zugänglich machen.
Die Flugsicherheit ist keine Bagatelle.

Und selbstverständlich geht das Leben nach diesem Unglück wie gewohnt weiter - für die, die nicht betroffen sind.
Wie auch der Autor dieser Zeilen natürlich wieder in ein Flugzeug einsteigen wird, mit der Gewissheit einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit, dass er auch wieder gesund aussteigt.
Doch es gibt berechtigte Ansprüche der Fluggäste an die Zuverlässigkeit der Technik und an die der Piloten.

Sie tragen ein sehr hohes Maß an Verantwortung für hunderte Menschen. Für diese Arbeit ist nicht jeder geeignet. Nicht jeder kann diese Verantwortung tragen.
Manche schaffen es nicht einmal für ihr eigenes Leben die Verantwortung zu übernehmen. Diese Fähigkeit des Übernehmens persönlicher Verantwortung ist aber die Voraussetzung für die Übernahme der Verantwortung für andere.
Eine Airline muss dies feststellen können, oder sagen, dass sie es nicht kann.
Aber sie kann nicht antworten, so wie es der Lufthansa Chef tat, es gäbe keinen 100%igen Schutz aber der Pilot wird als 100%ig flugtauglich bezeichnet, was er dann nicht ist.

Das was zu den 100% fehlt, ist ein Restrisiko was nicht als Rechtfertigung für eine unzureichende Informationsbeschaffung über den psychischen Zustand der Piloten herhalten kann. Wie auch immer die Airline es anstellt, sie muss diese Kenntnisse erlangen.
Und zwar bevor sie unzutreffenderweise behauptet, ihr gerade am Berg zerschelltes Flugzeug mit 150 Toten wurde von zwei 100%ig flugtauglichen Piloten geflogen. Wenn es diese 100%ige Sicherheit nicht gibt, dann soll die Lufthansa auch sagen, dass ihre Piloten niemals 100%ig fit sind und das auch nicht sein werden, weil sie sich außerstande sieht, dies sicherzustellen.
Und weil es keine 100% gibt. Nicht bei der Sicherheit und nicht bei den Piloten.

Dann kann der Fluggast sein persönliches Risiko neu kalkulieren, ohne von einer unzutreffenden Voraussetzung ausgehen zu müssen.
Aber auch dann wäre die Airline verpflichtet, im Fall des Versagens ihrer Bemühungen, einen verantwortungsvollen Piloten ans Steuer eines ihrer Flugzeuge zu setzen und Verbesserungen dahingehend vorzunehmen.
Das ist kein Aktionismus sondern Qualitätssicherung. Und damit kann schon mal begonnen werden.

Denn die Aufzeichnungen des noch verschollenen Flugschreibers werden an den Fakten, die den Copiloten betreffen, nichts ändern. Nicht das Ende der Ermittlungen und nicht das abschließende Urteil.
Und auch nicht die nochmalige Auswertung des Stimmenrekorders.

Erling Plaethe

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen